Außerhalb der Glasglocke

„Meine Schwester wurde bei einem Bandenkrieg in Bogota erschossen. Sie war damals 18. Heute wäre ihr Geburtstag gewesen“. Nüchtern, ohne jegliche Anzeichen von Emotion, verlassen diese Worte deine Lippen. Ich bin sprachlos. Zu früh musstest du lernen, zu verdrängen. Zu groß war der Schmerz. Dein Vater wollte dich nicht kennenlernen, auf die Mutter konntest du dich niemals verlassen. Ganz allein meisterst du dein Leben in diesem fremden Land.

Heute hast du einen kleinen Sohn. Hast ihn allein zur Welt gebracht. Allein all den Schmerz, all die Emotionen und Glücksgefühle während der Geburt erlebt. Doch sein Vater soll ihn kennen lernen. Um nichts in der Welt soll dein Sohn die gleichen Erfahrungen machen wie du damals. Er soll sich geliebt fühlen. Wissen, dass seine Eltern für ihn da sind.

Doch seine Vergangenheit kann man nicht abstreifen wie wie ein abgetragenes Kleidungsstück. Er hat dich geschlagen, gedroht, dich umzubringen. Nun muss dein Sohn ohne seinen Vater leben.

Doch während Papa im Gefängnis und Mama weinend auf dem Sofa sitzt, passiert auf einmal etwas Wunderbares. Dieses kleine Wesen richtet sich auf alle Viere auf und fängt an, loszukrabbeln. Das allererste Mal. Gatear nennen es die Spanier. Das Wort stammt von gato, Katze, ab. Dieses kleine Wunder der Natur schenkt uns nun Tag für Tag sein strahlendstes Lächeln und krabbelt drauf los. Probiert seine Stimme neu aus, in allen Tonlagen. Klatscht in die Hände. Lernt so viel und strahlt die pure Lebensfreude aus. Ich schaue ihm ins Gesicht und kann nicht anders, als glücklich zu sein. Er hilft seiner Mama so sehr. Trägt so eine große Verantwortung und weiß doch nichts von ihr.

Mir kommen die Tränen. Vor Trauer, Angst und ja, auch vor Glück. Glück, dass es so ein fröhliches und unverdorbenes Wesen wie deinen Sohn gibt.

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